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Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch

geschrieben von mugwort 
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
06. August 2016 18:37
Station 3, Lesenotizen zu Der Ölprinz, gelesen in der HKA, Band I.8, Aus der Mappe eines Vielgereisten und im Reprint der Frohen Stunden der KMG. Der Ölprinz wurde wohl erstmals ab Anfang September 1877 veröffentlich, in den Nummern 10 und 11 des 2. Jahrgangs der Zeitschrift Frohen Stunden (Verlag Bruno Radelli). Ausführliche Details zur Datierung kann man im o.g. Reprint nachlesen.

Inhalt der kurzen Erzählung ist der Brand eines Öltals. In weiten Teilen gleicht der Handlungsablauf - teils wörtlich - dem ersten Kapitel von Old Firehand:

Der Ich-Erzähler gelangt in Begleitung von Sam Hawkens in ein Tal, durch das der Fluss Young Kanawha fließt. Dort wird fleißig nach Öl gebohrt, Eigentümer ist ein Ölprinz namens Josias Alberts, der "... vom Oil-creek im Venango Country..." kam, um an neuer Stelle Öl zu fördern. Wo das Tal des Young Kanawha liegt und was die beiden Herren da eigentlich wollen, bleibt offen. Rudolf Benda (Mitteilungen KMG Nr. 31/1977, S. 29 ff) setzt den Young Kanawha mit dem real existierenden Little Kanawha in West Virginia gleich, in dem im Jahr 1863 tatsächlich Öl brannte (wenn auch auf andere Weise) und stellt damit fest, in "... Der Ölprinz reitet wohl zum ersten und auch zum letzten mal Old Shatterhand, der sich dort allerdings noch nicht so nennt, zusammen mit Sam Hawkens auch im östlichen Teil der USA...". Allerdings: Der Ich-Erzähler und Sam Hawkens durchqueren kurz vor Erreichen des Tals "... Prairie, nichts als Prairie..." - dann hatte Old Shatterhands Vorläufer entweder bereits das beamen erfunden oder, was wahrscheinlicher ist, Young Kanawha ist eine im Wilden Westen des May-Universums gelegene Neugründung des famosen Josias Alberts.

Im Tal angekommen geraten der Ich-Erzähler und Sam-Hawkens mit dem Ölprinzen in Streit: Dieser möchte ebenso unbedingt wie vergeblich das Pferd des Ich-Erzählers kaufen (hier Arrow, in Old Firehand: Swallow). Arrow ist ein Geschenk (wobei uns der Schenker verschwiegen wird, anders als in Old Firehand) und daher unverkäuflich. Die Ölquelle entzündet sich, das ganze Tal beginnt zu brennen. Der Ich-Erzähler und Sam Hawkens fliehen und retten by the way ein junges Mädchen, das sich am Ende der Geschichte als Tochter des (dann dankbaren) Ölprinzen herausstellt.

Der Ich-Erzähler verfügt, wie in Old Firehand, über einen Henrystutzen, dazu über "sechsläufige" Pistolen (lt. Wikipedia gab es das als Vorläufer zu den Trommelrevolvern wohl tatsächlich: Pistolen mit sechs oder mehr Läufen, als Bündel angeordnet und rotierend, auch Gerstäcker formulierung "sechsläufig" statt dem für uns gewohnten sechsschüssig). Mir fehlte allerdings beim Lesen das, was die Old-Firehand-Geschichte so besonders macht: Die innere Reflexion des Ich-Erzählers über das Geschehen und die dadurch entstehende unmittelbare Nähe zwischen Schreiber und Leser. Mein Eindruck ist: In der vorliegenden Fassung ist der Ölbrand wesentlich handlungsorientierter und oberflächlicher erzählt, May schreibt (und das nicht schlecht), aber er zaubert nicht.

Sam Hawkens gleicht weitgehend dem Sam Hawkens des Old Firehand. Mit einigen wenigen - allerdings prägnanten - Unterschieden: Eine kamelbeinige und haarlose Stute namens Mary taucht in Old Firehand nach meiner Erinnerung nicht auf (Sam ist da vorwiegend zu Fuß unterwegs). Der Schießprügel Sams ist im Ölprinz namenlos, bei Old Firehand trägt sie den auch später beibehaltenen Namen Liddy. Mit den Pawnees scheint Sam auch noch nicht zusammengetroffen sein: Die Haare seines noch fest angewachsenen Skalps werden ihm von Hitze und Feuer weggesengt, die Kopfhaut bleibt.

Eine eindeutige Datierung im Hinblick auf die Entstehungszeit der Erzählung ist wohl (noch?) nicht möglich. Im editorischen Bericht der HKA sind ausführlich verschiedene Textstellen von Old Firehand und dem Ölprinz (und Three carde monte) gegenübergestellt. Anhand des Vergleiches kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, der Ölprinz sei wohl aus dem 1. Kapitel des Old Firehand entwickelt worden, jedoch jedenfalls bei der Veröffentlichung schon "...einige Jahre alt..." gewesen. Möglicherweise gebe es einen noch unbekannten Vorläufertext, auf dem sowohl Old Firehand wie auch der Ölprinz beruhen.

Ich persönlich neige spontan, ohne jeglichen wissenschaftlich fundierten Anspruch, derr Auffassung zu, dass Der Ölprinz der ältere Text ist, dies mit folgenden Argumenten:

    [*] Winnetou wird als Schenker des Arrow nicht erwähnt, dies deutet möglicherweise darauf hin, dass für May zu dem Zeitpunkt, zu dem er den Ölprinzen schrieb, Winnetou als feste Figur noch nicht feststand.

    [*] Das Pferd heißt im Ölprinzen, und nur dort, Arrow. Sonst verfügen Ich-Erzähler respektive Old Shatterhand über einen Swallow oder (erst ab Old Surehand, gerade wieder etwas neues gelernt) einen Hatatitla.

    [*] Beim Lesen des Old Firehand bin ich über die Stelle gestolpert, an der sich der Ich-Erzähler mit Ellen endgültig vor der Flammenhölle des brennenden Öltals gerettet hat. Er hört sein Pferd und ist freudig überrascht, dass auch dieses das Inferno überlebt hat. Die Überraschung erstaunt: Ist er doch nach Durchqueren des Flusses wieder aufgestiegen und weitergeritten. Die Passage wird plötzlich verständlich, wenn man die Variante des Ölprinzen liest: Hier reitet der Ich-Erzähler auf der Flucht vor den Flammen, Sam Hawkens folgt ihm zu Fuß. Und es ist Sam, der mit freudiger Überraschung feststellt, dass auch seine geliebte und verloren geglaubte Mary den Flammen entkommen ist. Da wirkt der Old Firehand-Text auf einmal so, als hätte May versucht, Sam Hawkens aus dem Text zu streichen und trotzdem die anrührende Szene mit der Liebe zum Pferd stehen zu lassen.

    [*] Die Beschreibung der Figur des Sam Hawkens: Der Name des "Schießprügels von anno Pocahontas" hätte doch wohl Erwähnung gefunden, wenn es ihn (wie in Old Firehand) schon gegeben hätte. Und: Sams Skalp! So prägnant, wie die Perücke durchgehend ist, ist für mich nicht vorstellbar, dass May sie für eine Geschichte einfach so weglässt.

So, dass soll es erst einmal gewesen sein,
vielleicht hat ja jemand mitgelesen (oder ist schon viel weiter?)

viele Grüße

mugwort

P.S.:
Lesenswert auch die von Andreas Graf als Vorbilder für Karl May vorgestellten Gerstäcker-Texte Im Petroleum und In der Prairie. Während Im Petroleum eher spannungsarm ist, dafür aber einen netten Eindruck davon liefert, wie es in einem solchen Öltal zugegangen sein mag (die Städte, Städtchen und Ortschaften des Wilden Westens mit ihren Bauten, Saloons, Spelunken und anderen Errungenschaften der weißen Zivilisation lässt May ja meist großzügig weg), hat mich In der Prairie wirklich gefesselt. Hier kann man sich gut vorstellen, wie Karl May sich inspirieren ließ und den von Gerstäcker dargestellten Geschehensablauf in typisch Mayscher Manier mit Leben erfüllt hat.

P.S. 2:
Ich widme mich jetzt - neben dem hier hoffentlich entstehenden Dialog - dem Roma Auf der See gefangen Einen "Durchgang" habe ich schon, im Kopf das Personal sortiert (Himmel noch mal, man kommt da ganz in Tüddel bei all den Aliasnamen). Die damaligen Leser mussten entweder ein grandioses Namensgedächtnis gehabt haben oder - mangels anderer Lektüre - jedes Heft der Frohen Stunden gleich mehrfach gelesen haben, um den Überblick zu behalten. Für die, die nicht die gesamte Karl-May-Bibliographie auswendig rückwärts aufsagen können: Es gibt neben der Ausgabe des KMV und dem Reprint der KMG auch noch eine Buchausgabe des Nymphenburger Verlages mit dem Titel "Winnetou und der Detektiv" (Herausgeber, Kommentator und Bearbeiter ist hier Siegfried Augustin, der auch die Einleitung zum Reprint verfasst hat) und ein nettes Hörbuch mit dem Titel "Schloss Wildauen".



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 06.08.16 20:30.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
07. August 2016 05:22
wie schon vorher angemerkt, finde ich eigentlich alles (aus dem wilden westen) zwischen old firehand und dem waldläufer nicht so wirklich gelungen... könnte durchaus sein, dass der text schon vor dem firehand entstanden ist, noch schwächer und viel zerfahrener ist ja dann der "ölbrand" von 1882... man merkt, dass may noch auf der suche nach seinem thema im wilden westen ist, da war er mit seinen orient-geschichten (leilet, gum) schon etwas weiter
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
07. August 2016 07:00
mugwort schrieb:
-------------------------------------------------------

> Beim Lesen des Old Firehand bin ich
> über die Stelle gestolpert, an der sich der
> Ich-Erzähler mit Ellen endgültig vor der
> Flammenhölle des brennenden Öltals gerettet hat.
> Er hört sein Pferd und ist freudig überrascht,
> dass auch dieses das Inferno überlebt hat. Die
> Überraschung erstaunt: Ist er doch nach
> Durchqueren des Flusses wieder aufgestiegen und
> weitergeritten.

Ich habe das gerade noch einmal nachgelesen, weil ich das so nicht in Erinnerung hatte, es war mir offenbar bislang nicht aufgefallen. Ja, das ist seltsam, er erreicht das Ufer, reitet wieder, und dann kommt ihm das Pferd abhanden, "ritt, sprang, lief und kletterte ich, ohne mehr zu wissen, was ich tat", offenbar war es auch am anderen Ufer des Flusses noch recht ungemütlich ...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
07. August 2016 12:11
JamesDean schrieb:
-------------------------------------------------------
> wie schon vorher angemerkt, finde ich eigentlich
> alles (aus dem wilden westen) zwischen old
> firehand und dem waldläufer nicht so wirklich
> gelungen... könnte durchaus sein, dass der text
> schon vor dem firehand entstanden ist, noch
> schwächer und viel zerfahrener ist ja dann der
> "ölbrand" von 1882... man merkt, dass may noch
> auf der suche nach seinem thema im wilden westen
> ist, da war er mit seinen orient-geschichten
> (leilet, gum) schon etwas weiter


Ich hingegen finde den ersten Firehand Text sowas von gelungen, wogegen die "bearbeitete Kopie" in Winnetou 2 sowas von misslungen ist ...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
07. August 2016 15:50
Da sind wir uns doch mal einig ...

cool smiley
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
07. August 2016 20:03
Helmut schrieb:
-------------------------------------------------------
> JamesDean schrieb:
> --------------------------------------------------
> -----
> > wie schon vorher angemerkt, finde ich
> eigentlich
> > alles (aus dem wilden westen) zwischen old
> > firehand und dem waldläufer nicht so wirklich

>
>
> Ich hingegen finde den ersten Firehand Text sowas
> von gelungen, wogegen die "bearbeitete Kopie" in
> Winnetou 2 sowas von misslungen ist ...

war vielleicht missverständlich ausgedrückt... ich habe eh gemeint dass was nach old firehand und vor dem waldläufer kam... innuwoh und old firehand sind gut gelungen, dann gab es aber einen rückschritt, bzw. wurden vielleicht wirklich texte schon früher verfasst...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
11. August 2016 20:23
die ölepisode ist übrigens anscheinend stark von gerstäcker beeinflusst (ich kenn die sachen allerdings selbst nicht)... ich zitiere:

Old Firehand ist die früheste bislang bekannt gewordene längere Wildwest-Erzählung Karl Mays. Sie besteht aus mehreren Episoden, von denen die ersten beiden deutlich von Gerstäcker beeinflußt sind. In der ersten Episode geht es um die Ölkatastrophe in New Venango, woraus der namenlose Ich-Erzähler das Mädchen Ellen rettet; hier hat Gerstäckers Im Petroleum Pate gestanden. Und in der zweiten Episode verhindern Winnetou und der Ich-Erzähler einen von Parranoh ausgeheckten Überfall auf die Bahn: Hier diente Gerstäckers In der Prärie als Vorlage. Ob analog dazu etwa noch weitere Episoden z. B. der Überfall auf Old Firehands Talkessel oder die Ribanna-Geschichte von Gerstäcker (oder anderen) inspiriert sind, ließ sich bislang nicht zweifelsfrei feststellen

meine theorie ist halt (frei nach kandolf), dass may erst mit dem waldläufer dann den wirklich zündenden funken bei seinen "quellen" hatte, wer weiss was passiert wäre, hätte er ferry nie gelesen...



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 11.08.16 20:54.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
11. August 2016 21:33
JamesDean schrieb:
-------------------------------------------------------
> die ölepisode ist übrigens anscheinend stark von
> gerstäcker beeinflusst (ich kenn die sachen
> allerdings selbst nicht)... ich zitiere:
>
> Old Firehand ist die früheste bislang bekannt
> gewordene längere Wildwest-Erzählung Karl Mays.
> Sie besteht aus mehreren Episoden, von denen die
> ersten beiden deutlich von Gerstäcker beeinflußt
> sind. In der ersten Episode geht es um die
> Ölkatastrophe in New Venango, woraus der namenlose
> Ich-Erzähler das Mädchen Ellen rettet; hier hat
> Gerstäckers Im Petroleum Pate gestanden. Und in
> der zweiten Episode verhindern Winnetou und der
> Ich-Erzähler einen von Parranoh ausgeheckten
> Überfall auf die Bahn: Hier diente Gerstäckers In
> der Prärie als Vorlage. Ob analog dazu etwa noch
> weitere Episoden z. B. der Überfall auf Old
> Firehands Talkessel oder die Ribanna-Geschichte
> von Gerstäcker (oder anderen) inspiriert sind,
> ließ sich bislang nicht zweifelsfrei feststellen
>
> meine theorie ist halt (frei nach kandolf), dass
> may erst mit dem waldläufer dann den wirklich
> zündenden funken bei seinen "quellen" hatte, wer
> weiss was passiert wäre, hätte er ferry nie
> gelesen...

Wolfgang Hermesmeier hat in seinem obigen Beitrag die beiden - wirklich lesenswerten - Gerstäcker-Texte für uns verlinkt...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
12. August 2016 16:22
JamesDean schrieb:
-------------------------------------------------------
> die ölepisode ist übrigens anscheinend stark von
> gerstäcker beeinflusst (ich kenn die sachen
> allerdings selbst nicht)... ich zitiere:
>
> Old Firehand ist die früheste bislang bekannt
> gewordene längere Wildwest-Erzählung Karl Mays.
> Sie besteht aus mehreren Episoden, von denen die
> ersten beiden deutlich von Gerstäcker beeinflußt
> sind. (..)
> in der zweiten Episode verhindern Winnetou und der
> Ich-Erzähler einen von Parranoh ausgeheckten
> Überfall auf die Bahn: Hier diente Gerstäckers In
> der Prärie als Vorlage.

Die Ähnlichkeiten zu dem Gerstäcker-Text sind ja sicher vorhanden, bei mir selbst steht die Lektüre der betreffenden Geschichte noch aus.
Und zur Thematik der tatsächlichen Inspiration durch Werke anderer Schriftsteller habe ich mich ja auch andernorts geäußert.
Trotzdem möchte ich hier nochmal auf einen etwas anderen Blickwinkel hinweisen. Wir würden es uns nämlich etwas zu einfach machen, wenn wir nach dem Motto an Mays Geschichten rangehen, dass er da ja als Vorlage ein Werk von einem Schriftstellerkollegen nahm.
Karl May standen auch solche Quellen zur Verfügung, die das Tagesgeschehen aus der Welt (auch) nach Sachsen brachten. (Stichwort: Presse).
Vor etwa 10 Jahren schrieb ich einen Text, der sich mit dieser Problematik befasste. Darin heißt es u.a.:
Die Weißen bauten ihre Eisenbahn durch die Prärie, eine davon durch das Land der Oglala. (...) Red Cloud erkannte die daraus resultierende Gefahr (...) (u)nd er führte seine Kämpfer auf den Kriegspfad (...) Zunächst schien es, dass das Feuerross nicht aufzuhalten sei, ihre Waffen waren zu schwach. Doch dann die Erkenntnis: Es bleibt stehen, wenn es seine eiserne Spur verlässt!
Die Indianer lernten schnell, Züge entgleißen zu lassen. Sie legten Baumstämme auf die Gleise, lösten die Befestigungen der Schienen ... Also genau jene Szenerie, die Karl May mehrfach in seinen Erzählungen schilderte.
(M-KMG Nr. 151, S.33)

Nehmen wir also die Zeitungsberichte über Ereignisse in den Staaten
plus Karl Mays Fantasie (nach dem Motto: das ist in der Welt passiert und könnte ein Sujet für eine Erzählung sein)
plus Erinnerung an von May gelesenen Geschichten, u.a. von Gerstäcker,
dann kommen wir der Frage, wie seine Geschichten entstanden, näher, als wenn wir "nur" literarische Quellen im Fokus haben.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.08.16 16:23.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
12. August 2016 18:28
Mir scheint, dass es in der Forschungsliteratur bisher eher umgekehrt ist, als Sie es darstellen. Die überwiegende Zahl an bislang aufgedeckten Quellen sind Sachtexte und Sachbücher (Lexika, Expeditions- und Reiseberichte - egal ob selbstständig oder unselbstständig veröffentlicht, Lehrbücher, Atlanten). Und gerade bei dieser Art Quellen ist man mit dem Vorwurf des Plagiats zurückhaltender. Aber bei den literarischen Quellen, also bei Kollegen Karl Mays, die von ihren Imaginationen lebten, ist so viel bisher nicht benannt und nachgewiesen worden. Es wurde der Forschung auch nicht leicht gemacht, weil Klara May alles mutmaßlich vorhanden Gewesene entfernt zu haben scheint. Karl Mays Bibliothek ist uns als ziemlich reine Sachbuchsammlung erhalten geblieben, von ein paar literarischen Klassikern mal abgesehen.
Ich finde daher nicht, dass man noch mehr auf Sachtexte schauen soll. Das ist schon viel getan worden. Im literarischen Bereich gibt es meiner Ansicht nach größeren Nachholbedarf! Wenn also hier endlich einmal genau darüber nachgedacht und -gefoscht wird, dann wäre es imho schön, wenn man dabei bliebe.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
13. August 2016 14:51
Ohne hier auch nur annähernd über den Forschungsstand informiert zu sein, erscheint es mir plausibel wenn nicht gar offensichtlich, dass May wohl von beiden Quellen inspiriert worden ist, respektive inspiriert worden sein MUSS: Wer in einer Intensität wie May tagträumend durch die (Bücher)welt wandelt und sich als Weltreisender neu erfindet, wird sowohl Fakten gesammelt wie auch die Träume anderer mitgeträumt haben. Dabei sind es dann manchmal ganze Passagen, die "hängen" geblieben und "verwertet" wurden, ein anderes mal nur einzelne Motive oder Stichworte, vielleicht der eine oder andere Name.

Diesen Eindruck erweckt übrigens bei mir der Gerstäcker Text "Im Petroleum": May wird ihn irgendwann gelesen haben, es blieben die Stichworte "Öltal - Brennen - Ellen/ Lovestory" hängen, dazu kamen aus der Presse so klangvolle Namen wie Venango und Kanawha - plus eine Prise von Mays überbordende Phantasie und schon waren die Ölbrand-Texte (und ich glaube immer noch: als krönender Abschluss die Version aus Old Firehand) entstanden. Von einem Plagiat dürfte May in diesem Fall meilenweit entfernt sein.

Im Übrigen neige ich dazu zu unterstellen, dass auch Mays "literarischen Quellen" ihre Inspirationen irgendwoher bezogen haben (müssen): Aus selbst Erlebtem, aus Zeitungsberichten, aus Lexika oder eben auch aus den Werken von Autoren, die vor ihnen schrieben. Wäre mal interessant zu wissen, ob und welche Forschung es hier zu anderen Autoren gibt: Aus welchen Quellen - außer dem eigenen Erleben - schöpften beispielsweise Gerstäcker und Möllhausen? Was ist mit Cooper und Ferry? Und all den anderen? Es wird ja keiner völlig im "luftleeren Raum" phantasiert haben.

Viele Grüße
mugwort

P.S.:
Jenny hatte uns oben ja die - durchaus reizvolle - Theorie von Olbricht vorgestellt, bei Inn-nu-wohl könnte es sich um die frühe Indianererzählung handeln, die der jugendliche May an die Gartenlaube geschickt und ungedruckt zurückbekommen hat. Der erste Teil von Inn-nu-woh ähnelt ja nun durchaus Gerstäckers "New Orleans" - wie wäre die Idee, dass die Geschichte wegen genau dieser Nähe (Plagiatsvorwurf) nicht gedruckt worden ist? Und dass May sie dann anno 1874/75, inspiriert durch den entsprechenden Zeitungsartikel, nur um die Tiger-Episode erweitert und - den Plagiatsvorwurf innerlich großzügig beiseite schiebend - im Deutschen Familienblatt veröffentlicht hat?



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 13.08.16 15:14.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
22. August 2016 17:44
das die meisten autoren von anderen werken inspiriert waren, ist ja wohl klar, auch shakespeare (+ co-autoren) soll sich ja heftig anderswo bedient haben...

und ein gerade aus dem gefängnis entlassener autor mit drückenden geldsorgen hatte da wohl auch keine gedanken dafür, sich um so was zu sorgen...

interessanter finde ich in diesem zusammenhang ja zwei fragen:

1) wie schaffte es may in seiner hochphase (1882-1895) neben dem gigantischen output auch noch so viele quellen zu lesen ?

2) welche seiner figuren (vor allem die schurken) sind aus seiner gefängniszeit inspiriert ?
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
29. August 2016 10:45
JamesDean schrieb:
-------------------------------------------------------
> das die meisten autoren von anderen werken
> inspiriert waren, ist ja wohl klar, auch
> shakespeare (+ co-autoren) soll sich ja heftig
> anderswo bedient haben...
>
> und ein gerade aus dem gefängnis entlassener autor
> mit drückenden geldsorgen hatte da wohl auch keine
> gedanken dafür, sich um so was zu sorgen...
>
> interessanter finde ich in diesem zusammenhang ja
> zwei fragen:
>
> 1) wie schaffte es may in seiner hochphase
> (1882-1895) neben dem gigantischen output auch
> noch so viele quellen zu lesen ?
>
> 2) welche seiner figuren (vor allem die schurken)
> sind aus seiner gefängniszeit inspiriert ?

Um sich über Frage 1 Gedanken zu machen, müsste man einen Überblick haben, welche Quellen konkret in Betracht kommen und seit wann May sie gekannt haben kann. Grundsätzlich muss das Niederschreiben der eigenen Geschichte der Inspiration ja nicht zwingend unmittelbar auf dem Fuße folgen - vielleicht hat May das eine oder andere (oder vieles?) Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte vor dem Schreiben bzw. Veröffentlichen der eigenen Werke gelesen. Dazu habe ich bislang den Eindruck, dass für die meisten May-Texte bislang zwar bekannt ist, wann May sie zuerst veröffentlicht hat, aber in vielen Fällen nicht klar ist, wann und ggf. wie sie entstanden sind. Einem druckfertigen Manuskript können ja, je nach Arbeitsweise eines Autors, verschiedene Phasen vorausgehen: Eine Geschichte/ ein Motiv schleicht sich in die Phantasie eines Autors ein und wird dort zunächst hin- und hergeschoben, verändert, mit Leben erfüllt. Dann folgt ggf. eine erste Skizze, dann ein erster Rohentwurf einer Erzählung. Dann noch mal eine Variante und noch eine Variante - bis der Text "steht" - wobei dann bei akuter Geldnot auch mal ein Rohentwurf in eine fertige Erzählung eingebaut wird (für mich klingt der Eisenbahnüberfall-Teil von Old Firehand so) oder von einer Erzählung nicht nur die "runde" Endfassung, sondern mehrere vorangegangene Varianten veröffentlicht werden können (siehe vielleicht die Ölbrand-Varianten?

Ob es dazu wohl bereits Forschungsergebnisse gibt?

Zur Frage 2: Ist eigentlich überhaupt irgendetwas dazu bekannt, wer zeitgleich mit May "einsaß" und mit wem May während der Haftzeit und ggf. danach Kontakte pflegte?

Viele Grüße
mugwort
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
29. August 2016 19:51
Zu Frage 2 fällt mir auf Anhieb Max Dittrich ein. Zumindest Dittrich sagte später, er hätte May in Osterstein kennengelernt/getroffen, aber die Freundschaft begann erst später.

Zu Frage 1: Ich habe sehr den Eindruck, dass May tatsächlich in seinen jungen Jahren ein Vielleser war, der ein zähes Gedächtnis für Einzelheiten hatte. Man merkt das daran, dass er einmal (falsch) angelesenes über Jahre hinweg falsch repetiert, es sich also falsch gemerkt haben muss (Stichwort "Santillodecke").

Wenn er also - wo auch immer - massenhaft Sachliteratur (populärwissenschaftliche Beiträge wie z.B. den, dem er die Info über das Entzünden von Kaktusfeldern entnommen hat oder zum St. Elms-Feuer...) und Belletristik (Stichwort "Drama in den Lüften") gelesen hat, wird er diese Versatzstücke in den Folgejahren variert, kombiniert und natürlich durch eigenes erweitert haben. (Die Stellen, wo er direkt abgeschrieben hat, mal ausgenommen.)

Allerdings werden diese frühstens Versuche, sollten sie veröffentlicht worden sein, leider kaum anhand eines eigenen Stils zu identifizieren sein. Man kann da nur Indizienbeweise führen und leider nie sicher wissen, ob man eine anonym veröffentlichte Urfassung als Frühwerk oder als Quelle einordnen muss.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
29. August 2016 20:56
das mit den quellen ist meiner meinung eh ein zweischneidiges schwert... ich persönlich habe ja die "fremden" stellen immer ganz gut gefunden, weil sie den may'schen dialog- und handlungsrahmen doch merklich auflockern... bei späteren romanen hat er ja dann offensichtlich aus vorsicht (weil er immer bekannter wurde) immer weniger zitiert (oder wie im sendador die zitate dann auch kenntlich gemacht a la "ich las gerade in diesem oder jenem werk").. insgesamt fehlen dann diese brüche und es kommen teils ermüdend lange dialoge oder andauernde gefangennahmen und wiederbefreiungen...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
22. Januar 2017 19:05
was mich mal interessieren würde: gibt es eigentlich die manuskripte zu winnetou II und winnetou III noch ? hat may da "einfach" den "scout" und "old firehand" genommen und durchgestrichen etc... oder das ganze neu reingeschrieben ? ist ja dann doch auch einiges an aufwand gewesen, das ganze von hand nochmal zu schreiben.... wenn ich mich recht erinnere gab es ja von fehsenfeld auch immer wieder anfragen, ob die bearbeitungen schon fertig sind...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
22. Januar 2017 20:30
Hmmm... im Wiki haben wir folgende Aufstellung: [karl-may-wiki.de]
"Winnetou III" ist dabei, "Winnetou II" nicht.

Allerdings erheben wir da keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
23. Januar 2017 04:37
a ja, danke...
anscheinend ist von winnetou III auch nur das schlusskapitel (teilweise) erhalten, das ja neu geschrieben wurde... trotzdem vermute ich, dass may wohl das ganze nochmal abgeschrieben (kopiert) hat, also doch meines erachtens nach eine ziemlich aufwendige tätigkeit...
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
23. Januar 2017 07:56
JamesDean schrieb:
-------------------------------------------------------
> vermute ich, dass
> may wohl das ganze nochmal abgeschrieben (kopiert)
> hat, also doch meines erachtens nach eine ziemlich
> aufwendige tätigkeit...

Warum sollte er das getan haben ... Weite Teile von Winnetou II / III unterscheiden sich ja nun nicht so gewaltig von den Vorversionen ...

Beim Blättern in HKA / Reprints habe ich gestern [nur] das gefunden: " [...] brachte er an den gedruckten Vorlagen mancherlei Änderungen an". (Anhang Fehsenfeld-Reprint W III, bezüglich WII+III)
Re: Leserunde „Im Wilden Westen“ – chronologisch
23. Januar 2017 08:34
okay, war ein fehler von mir... ich bin davon ausgegangen, dass er von "old firehand" ausging, dabei gab es ja schon die zwischenstufe "im fernen westen", die sich anscheinend nicht mehr so stark unterschied


Rüdiger schrieb:
-------------------------------------------------------
> JamesDean schrieb:
> --------------------------------------------------
> -----
> > vermute ich, dass
> > may wohl das ganze nochmal abgeschrieben
> (kopiert)
> > hat, also doch meines erachtens nach eine
> ziemlich
> > aufwendige tätigkeit...
>
> Warum sollte er das getan haben ... Weite Teile
> von Winnetou II / III unterscheiden sich ja nun
> nicht so gewaltig von den Vorversionen ...
>
> Beim Blättern in HKA / Reprints habe ich gestern
> [nur] das gefunden: " [...] brachte er an den
> gedruckten Vorlagen mancherlei Änderungen an".
> (Anhang Fehsenfeld-Reprint W III, bezüglich
> WII+III)
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